Meist taucht das Bild von Omi im Rollstuhl sitzend in ihrer Wohnung in der Belvederegasse auf, wie sie da sitzt und für uns Kinder mit dem Stabmixer unsere beliebte Süßspeise Galetta mixt – wohl mit Hilfe und Assistenz unserer Mama. Es schien ihr aber wichtig zu sein, dass sie das selbst für uns soweit als möglich zubereitete. Heute kann ich das auch gut verstehen.
Ein weiterer starker Eindruck war die malende Omi. Ich kann mich nur an einen einzigen Besuch erinnern, wo ich dann einige Tage allein bei ihr in Kaumberg war. Sie saß wenn möglich draußen auf der Terrasse, am runden Holztisch, und malte mit Wasserfarben, die Blumen, die Vögel – und einmal auch mich, als ich bäuchlings auf der Ofenbank lag.
Wenn wir, wie meistens, einen Teil unserer Sommerferien in Ferienlagern verbrachten, schickte uns Omi fast immer eine Postkarte mit Grüßen aus Kaumberg und einem eigens für die Karte angefertigten Aquarellbild. Es war immer ein Highlight, dort Post zu bekommen und solche noch dazu.
Ich habe sie als liebe, freundliche und ausgeglichene Frau in Erinnerung, weiß aber von so manchen Erzählungen meiner Mama, dass sie auch durchaus andere Seiten hatte, wie zum Beispiel starke Eifersucht, selbst auf Freundinnen von Mama, später wohl auch auf unseren Papa, den sie dann nach langem Widerstand aber doch persönlich kennenlernte und gleich in ihr Herz geschlossen haben soll.
Zu meinen Erinnerungen zählen die vielen Glasvitrinen in ihrer Wohnung, voll mit interessanten Dingen, die ich sonst nirgendwo zu Gesicht bekam. Es gab da auch eine große Kohlenkiste und es war ein Erlebnis, wenn daraus Brennstoff entnommen wurde und dann rundherum alles voll Kohlenstaub war.
Es gab da auch einen kleinen Balkon – der mir durchaus nicht klein erschien. Er war für mich besonderes etwas Besonderes, denn er durfte nur von ihrem Mann betreten werden. Oder waren wir doch auch mal dabei?
Als Omi gestorben war, war Mama sehr traurig. Für mich schien es eher normal, dass alte Menschen aus dem Leben gehen und ich kann mich an keine Anflug eigener Traurigkeit erinnern.
Omi muss nicht nur eine sehr schöne Frau gewesen sein – wofür ich sie aufgrund alter Fotos immer bewunderte, ebenso wie die eleganten Kleider die sie da trug. Sie war wohl auch eine sehr mutige Frau, wie ich aus Erzählungen aus der Nazizeit erfahren durfte. Da riskierte sie wohl mehr, als nur im Gefängnis zu landen, weil sie ein antinazistisches Gedicht weiterverbreitete und nur durch äußerst glückliche Umstände vor bösen Folgen bewahrt blieb.
Vor langer Zeit bin ich von meinem Bruder Gustav gebeten worden, die in Kaumberg vorhandenen Bilder von Omi so gut wie möglich zu restaurieren. Also nahm ich nahm die alten Ölfarben, die ich von ihr bekommen habe – und deren Anblick alleine immer schon ein Genuss für mich gewesen ist –, die diversen Lösungsmittel in verschiedenen Fläschchen und eine ihrer Holzpaletten und setzte mich mit all dem in Kaumberg ins Dachzimmer, mit all den vorhandenen Bildern – größtenteils Landschaften und Akten. Ihre Kopien bekannter Meister ließ ich unberührt. Diese Kopien, und die Präzision mit der sie gemalt waren, waren immer schon sehr beeindruckend für mich, sind aber sehr gegensätzlich zu ihrem persönlichen Stil.
Aus Erfahrung wusste ich, wie schwierig es ist, eine Farbe genauso zu mischen und wiederzugeben wie am Original. Ich war verwundert, dass alles ohne Probieren immer auf Anhieb passte und gelang, es war eine wahre Freude und so war ich auch wesentlich schneller fertig, als ich gedacht hätte. Bald hatte ich das starke Gefühl, dass nicht ich selber malte. Es fühlte sich an, als ob Omi eigenhändig, einfach durch mich und meine Hände, wirkte und die kleinen Schäden ihrer Bilder mit den genau richtigen Farbtönen und der genau richtigen Farbdicke und Pinselrichtung wieder zum Verschwinden brachte. Es gab für mich keinen Zweifel, dass es so war. Es war ein sehr spezielles und eindrucksvolles Erlebnis und ich behielt es bis heute für mich.
Ich habe Omi immer bewundert. Auf den alten Fotos, in den Erzählungen, an die ich mich leider kaum noch erinnern kann, und eben genauso, wie ich sie gekannt habe und ich bin froh, dass nun auch nachfolgende Generationen einen Eindruck von ihr und ihren Bildern gewinnen können – über meine leider spärlichen persönlichen Erinnerungen hinaus.