Leider kann ich nicht sehr viel berichten, denn so oft habe ich meine Omi nicht gesehen. Als ich geboren wurde, war sie sechzig Jahre alt und bei ihrem Ableben war ich noch nicht ganz zwölf.

Ich hab sie nie anders als sitzend gesehen, sie konnte ja nicht mehr gehen, und wie alle Menschen, die man niemals in voller Größe sieht, kam sie mir recht klein vor – obwohl ich doch selbst noch so klein war. Ich glaube, sie war nicht der Mensch, der viel Zeit mit Kindern verbringt, aber sie war immer ausgesprochen lieb zu uns drei Kleinen.

Ich glaube, sie legte großen Wert auf ein elegantes und gepflegtes Äußeres und litt schon allein deshalb sehr unter ihrer so eingeschränkten Beweglichkeit. Ich habe sie dennoch immer als sehr fröhlich erlebt, auch wenn durch ihre Fröhlichkeit da und dort immer eine ordentliche Portion Galgenhumor durchblitzte.

Ihre Wiener Wohnung in der Belvederegasse 7 war stets vom intensiven Geruch ihrer Ölfarben und der diversen fürs Malen benötigten Tinkturen, wie Terpentin und Firnis, durchdrungen. Diesen Duft spüre ich dann und wann noch, als ob ich gerade dort gewesen wäre, und ich liebe ihn immer noch sehr. Ich glaube, mich erinnern zu können, dass bei Omi überall kleine Farbpaletten herumlagen, die gerade in Verwendung waren, oder zumindest gerade gewesen sein mussten, denn die Farben waren noch feucht.. Auch waren überall die grundierten Holzfaserplatten zu sehen, die ihr bevorzugter Maluntergrund gewesen sein dürften.

Einmal durfte ich ein paar Sommerwochen bei ihr in Kaumberg verbringen, das wird so etwa im Jahr 1964 oder 1965 gewesen sein. Ich habe in Erinnerung, dass sie stets beim runden Tisch auf der Terrasse saß und – mit Malen beschäftigt war, wozu sie, schon aus Platzgründen, auf den Gebrauch von Aquarellfarben beschränkt war. Das hatte übrigens den schönen Nebeneffekt, dass sehr viele ihrer Postkarten, vielleicht sogar alle, mit wunderschönen Aquarellbildern illustriert waren. Sie hat einfach mit Kugelschreiber eine Skizze aufs Papier geworfen und diese danach mit den Wasserfarben bemalt.

Damals versuchte sie auch ein einziges Mal, mir ein bisschen Malen beizubringen. Danach ließ sie es bleiben, sicher nicht ohne Grund. Das dabei entstandene Bild, an dessen Motiv ich mich noch genau erinnern konnte, hab ich unlängst sogar noch auf dem Kaumberger Dachboden gefunden.

Meine Mama, die mit ihrer Mama eine wahrscheinlich fast allzu innige Liebe verband, beschrieb Omi später als sehr dominant, geradeheraus, besitzergreifend – und gleichzeitig sehr sensibel. Vielleicht die ideale Mischung für eine Künstlerin. Zwischen Mutter und Tochter dürfte es dafür mehr als einmal ordentlich gedonnert und geblitzt haben.

Meine Omi war Künstlerin aus Leidenschaft. Ich glaube, ihr ging es ums Malen und ihre Bilder und sonst um nichts. Sie war materiell unabhängig und konnte es sich leisten, sich der Malerei ganz und gar zu widmen. Ich weiß nicht, ob es ihr vollkommen egal war, mit ihrer Malerei unbekannt zu bleiben, oder berühmt zu werden – wahrscheinlich nicht -, aber ich stelle es mir einfach so vor und aus. Über die wahre Kunst zu diskutieren kann zwar sehr unterhaltsam sein, ist aber bekanntlich vollkommen sinnlos. Und trotzdem, hätte ich nach einem Beispiel für den wahren Künstler zu suchen, müsste ich nicht viel Zeit verlieren, denn dieser Begriff ist bei mir seit jeher durch meine Omi besetzt. Auf Lebenszeit.